„Das konnte ja keiner ahnen!“

  • 29.06.2022

Es wiederholt sich Jahr für Jahr, Monat für Monat, Tag für Tag. Völlig unvorbereitet trifft der Sommer die Deutsche Bahn. Klimaanlagen in völlig überfüllten Bahnabteilen fallen aus. Die Gäste schwitzen und manche kollabieren. Fragt man die Verantwortlichen der Bahn, bekommt man überraschend zu hören: „Das konnte ja keiner ahnen.“ Was bitte konnten die Bahnvorstände nicht ahnen? Das wir von Jahr zu Jahr zunehmende Temperaturen im Sommer haben und weiter bekommen werden? Manchmal habe ich den Eindruck, Bahnvorstände denken von September bis Mai. Oh Entschuldigung, ich habe den Wintereinbruch vergessen, der völlig unvorbereitet wieder Weichen und Signale lahmlegen wird.

 

Etwas nicht ahnen können scheint Mode in Deutschland zu sein. Gerade in der Politik ist „konnte ja keiner ahnen“ die wichtigsten Ausbildungskomponente auf dem Weg zu einer politischen Karriere. Lassen Sie mich bitte mal kurz zurückdenken:

 

Flüchtlingskrise, konnte ja keiner ahnen. Rechtsruck, konnte ja keiner ahnen. BER, Stuttgart21, Elbphilharmonie konnte ja keiner ahnen. Vernachlässigtes Bildungssystem, konnte ja keiner ahnen. Afghanistan, konnte ja keiner ahnen. Corona-Versagen, konnte ja keiner ahnen. Kollabierendes Gesundheitssystem, konnte ja keiner ahnen. Korruptionsskandal, konnte ja keiner ahnen. Wirecard, konnte ja keiner ahnen. Schwarzes Wahl-Debakel, konnte ja keiner ahnen. Marode Bundeswehr, konnte ja keiner ahnen. Putin, konnte ja keiner ahnen. Energie-Kollaps, konnte ja keiner ahnen. Inflation, konnte ja keiner ahnen. Misslungener Tankrabatt, konnte ja keiner ahnen. Absprache der Mineralölkonzerne, konnte ja keiner ahnen. Habe ich was vergessen? Konnte ich ja nicht ahnen.

 

Hallo liebe Politiker und Staatsdiener, es ist euere Aufgabe auch mal eine Ahnung zu haben! Wir Steuerzahler bezahlen euch und eure übergroßen Expertenstäbe. Seht euch mal draußen in der Welt um und versteckt euch nicht hinter euren Schreibtischen. Jeder Handwerker und auch jeder Vertriebler erlernt sein Handwerk draußen beim Kunden und nicht im Büro oder seiner Werkstatt. Um zu sehen, dass die Tankrabatte nicht weitergegeben werden, muss ich nicht erst auf den Bericht der Kartellkommission warten. Das sieht jeder Mensch an jeder Tankstelle. Aber da ihr ja nicht selbst tankt, dieses erledigt ja euer Fahrer, müsst ihr auf einen offiziellen Bericht warten. Es vergeht Zeit um Zeit. Bewegt euch mal hinter eurem Schreibtisch hervor, um mal eine Ahnung zu bekommen, was außerhalb eures Büros los sein könnte.

 

Mit der Demokratie haben wir uns für eine Aufgabenteilung entschieden. Wir, das Volk, verdienen das Geld. Ihr, die Politiker, gebt es sinnvoll, zum Wohle des Volkes wieder aus. Zur Verständigung. Alle Politiker haben sich ihren Job freiwillig ausgesucht. Genauso wie ich mir meinen Job als Komiker, Autor und Redner ausgesucht habe. Das ist das Schöne an der Demokratie. Keiner erwartet Wunder von euch, aber ihr solltet endlich euren Job machen.

 

Ihr habt einen Eid geleistet, dem Volk zu dienen, nicht uns zu schaden oder gar selbstherrlich in die eigene Tasche zu wirtschaften. Und kommt uns nun nicht mit „Machts doch besser“. Wo würden wir denn dahin kommen, wenn wir neben unseren Jobs auch noch eure Jobs machen sollen. Macht endlich das, wofür ihr gewählt wurdet und bezahlt werdet, nämlich eure Aufgaben. Wenn nicht, kann ich vielleicht nächsten Sommer schreiben: „Es waren einmal Politiker, die keine Ahnung hatten. Aber das konnte ja keiner ahnen.“

 

Peter Buchenau

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